Mux1

Helga Ecker, 6. April 2002

Begegnung mit der Künstlerin Margareta Antony

 

Ich blickte am Donnerstag abends neugierig durch die Tür des Lengenbacher Saales. Fünf Menschen konnte ich in dem riesigen Raum beobachten. Ich betrachtete die wilden abstrakten Bilder eines mir bekannten Künstlers – die drei Grundfarben ROT – BLAU – GELB strahlten in den Raum, sie regten meine Phantasie an.

 

Dann staunte ich über großformatige Akte in realistischer Ausdrucksweise in Rot und warmen Erdfarben. Realistische Ausdrucksweise? Ich musste mich erst einmal „einschauen“. Akte – Gestalten – unheimlich, diese Werke faszinierten mich. Konnte ich das zulassen?

 

Abstoßend – in gewisser Weise abstoßend. Was konnte ich da erblicken? Ein schlanker Frauenkörper, der Brustraum war gefesselt, die Arme angebunden, ein Teddybär in der Nähe, ein Gesicht, als könnte es alle Schmerzen der Welt ausdrücken. Daneben ein männlicher Akt. Schlanker Körper, das rechte Bein abgewinkelt – ein Riesenpenis …

 

Skandal – würde meine Mutter sagen, und so etwas ist in Neulengbach zu sehen! Wunderbar – so denke ich, so etwas kann ich in Neulengbach sehen. An der Frontseite des Lengenbacher Saales erregen zwei extreme Querformate meine Aufmerksamkeit.

 

Rot – ja, sie komme von diesem Rot nicht weg, so sprach die Künstlerin später zu mir. Rot und Orangetöne – eine Frau blickt leidend, frustriert – voll Schmerz und Pein auf das rote Feld, oder den roten Raum: Am Horizont ein zusammengerollter Frauenkörper in Embryo-Stellung.

 

Ja, so zusammengerollt habe ich mich früher auch oft gefühlt. Früher, als ich noch jung war. Zusammengerollt und eingeigelt, ich wollte von dieser verdammten Welt nichts wissen! Diese wunderbaren gesellschaftlichen Rollenzwänge, wunderbar – für wen? Grauenhafte patriarchale Welt!

 

Nun stand ich fassungslos vor diesen starken Bildern – umwerfend, ich war aufgerüttelt und harmonisch berührt zugleich. Welchen Eindruck konnte ich nun von der Künstlerin gewinnen? Sie war jung, wirkte noch jünger, als es ihrem Geburtsdatum im Katalog entsprechen würde.

 

Eine junge lebenslustige, feurige und zarte Frau. Etwas Feenhaftes konnte ich an ihr erkennen, und eine erdige, echte und ursprüngliche Ausstrahlung war für mich wahrzunehmen. Zart – elegant in Schwarz gekleidet, elegant und modern zugleich. Lange gewellte Haare mit kleinen Blumensteckern darin – wunderbar!

 

Diese fröhliche junge Frau malte solche kraftvolle und ausdrucksstarke Bilder. Ich bin sehr beeindruckt, das ist aufregend für mich. Die Künstlerin hat eine fundierte Ausbildung, sie studierte an der Akademie. Ich erkenne bei ihr eine optimale Verbindung von ausgezeichneter Handwerkskunst mit schöpferischer Urkraft – einfach göttlich.

 

Ich beobachte die Gesichter der Besucher. Können sie es zulassen, dass diese ausdruckstarken Bilder auf sie wirken. Ich hatte große Mühe, zu viele Beschränkungen meiner Sozialisation sind da noch vorhanden – mich auf diese Bilder voll einzulassen. Es war ein Abenteuer mit Hindernissen für mich. Stufenweise konnte ich es dann doch zulassen.

Zuerst konnte ich die erdigen Farbtöne mit dem intensiven Rot und Orange wahrnehmen. Ja, an den Farben fand ich Gefallen. Dann erkannte ich das meisterhafte handwerkliche Können. Doch es wurde „Wolkenkratzerhoch“, meilenweit von einer Kraft überstrahlt, das fand ich zuerst äußerst abstoßend.

 

Moderne Kunst, so sagte dann im Laufe des Abends eine Bekannte zu mir. Moderne Kunst, damit kann ich nichts anfangen, das ist nicht Meines! Das hat doch mit Moderner Kunst nichts zu tun, so entgegnete ich empört. Mich beeindruckt diese strahlende Ausdruckskraft. Hier wird das gesellschaftliche Rollenbild der Frau in Frage gestellt, so purzelten die Worte aus meinem Mund.

 

Diese junge fröhliche Frau drückt für mich mit ihren Werken all die weiblichen Schmerzen, Ängste der Unterdrückung und all die schweren Lasten, welche auf den Schultern der Frauen drücken – aus! Ja, gerne hätte ich mal, ach wenn’s nur ein halber Tag wäre, für mich selbst Zeit, so seufzte die andere Frau neben mir.

 

Ja, die junge Frau kann gut fröhlich sein, all ihre Ängste und Schmerzen hat sie auf diese Bilder verbannt. Gut – jetzt strahlen die Werke schrankenlos in den Raum zurück. Alle, die es zulassen können, werden das spüren. Gut, diese junge Frau hat in der Kunst ein Ausdrucksmittel gefunden, das mich sehr berührt.

 

Was löst das in mir aus? Ich konnte mich nur durch Aggressivität ausdrücken. Depressive Verstimmungen ließen mich in Traumwelten abgleiten. Warum war ich für den Hausputz verantwortlich? Weil ich die Kinder bekommen kann, so antwortet immer meine Mutter. Warum? – Warum bin ich allein für die Aufzucht des Nachwuchs verantwortlich? Warum?

 

Seit meiner frühesten Kindheit konnte niemand meine vielen Warum-Fragen beantworten. Diese Bilder der Margareta Antony konnten das endlich! Ja, der Schmerz muss ausgedrückt werden. Die klassische Rollenverteilung muss abgelegt werden.

 

Ich blicke durch die Fensterscheibe, schmutzige Regentropfen sind zu sehen, das Sonnenlicht strahlt trotzdem herein. Ich muss diese Fenster nicht putzen, wer sagt das! Die notwendigen Arbeiten, welche im täglichen Zusammenleben anfallen, werden aufgeteilt. Ich kann so beispielgebend für andere Frauen meiner Generation wirken.

 

Doch weisen mich diese Bilder auf notwendige Hausarbeit hin? Nein – sie zeigen mir das schmerzliche Verhaftet-Sein mit dem Materiellen, mit den gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen und mit der Sexualität. All die Tränen, die Wut und Schreie der Menschen, besonders der Frauen – kommen befreiend zu mir rüber.

 

Und doch wirken diese Bilder auch erhebend, nüchtern abgeklärt auf mich. Lass all den Kummer zurück, blicke nach vorne, so sagen die farbigen Gestalten zu mir.

 

Ja, so sind nach zwei Stunden ehrlicher Betrachtung diese Bilder nicht mehr abstoßend für mich, sondern sie bestärken mich in meiner Gewissheit, dass ich auf meinem richtigen Weg bin. Ich konnte das Abstoßende zulassen, und ich habe mich auf die ausstrahlenden Schmerzen eingelassen. Für mich ist es eine heilsame Reinigung gewesen. Es hat genau gepasst, weil ich bereits auf meinem Weg bin.

 

Danke, ich liebe alle mutigen jungen Frauen, wie diese feurige Künstlerin. So kann sich die Welt zum Besseren – aus der weiblichen Sichtweise natürlich, entwickeln.